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Zweimal war meine Mutter in drei Jahren als geheilt entlassen worden. Dann war er wieder da, der Lymphdrüsenkrebs. Die erste Chemo hatte sie alle Reserven gekostet, alle Frische genommen. Die zweite Chemo ließ sie altern innerhalb von Wochen.

Dann, Ende Oktober 2001, ein Telefonat mit unserer Homöopathin: „Ihre Mutter sagte mir, sie glaube, dass sie nicht mehr lange hat. Sie sagt, das Leben fließe aus ihr heraus.“ Alarmiert von der Dringlichkeit, fuhr ich mit meinem Mann und den zwei Kindern die 300km zu einem Besuch. Es war Nikolaustag, meine 4jährige Tochter ging mit dem Papa zur Nikolausfeier. Ich blieb mit meinem 13 Monate alten Sohn bei meinen Eltern.

Meine Mutter war schon sehr schwach. Kraftlos und dünn geworden, saß sie in ihrem Sessel. Ich setzte mich zu ihr auf den Fußschemel. Den Enkelsohn legte ich ihr quer über den Schoß. Die Flasche konnte er schon selbst halten. Sie hätte keine Kraft mehr dafür gehabt.

Lange saßen wir so zusammen. Wir schauten uns immer wieder tief in die Augen, während unsere Beine, unsere Hände sich berührten. Zu beginn der Krankheit sagte sie einmal: „Und wenn ich jetzt sterben muss, so hatte ich ein schönes Leben.“ Ich bin mir sicher, wir beide wussten, das es unser Abschied war. Gesprochen haben wir nicht. Eine lange Umarmung ist das Letzte, woran ich mich erinnern kann. 10 Tage später war sie tot.

Was mir geblieben ist, ist eine ruhige Freude darüber, einen besonderen, benennbaren letzten Moment mit meiner erst 65 jährigen Mutter geteilt zu haben. Ohne Worte, ohne banges Festhalten, es war alles geregelt.

Sie hat ihre Felder bestellt hinterlassen.
Erschienen in den LichtSeiten zum Thema „Freude“ Dezember2016/Januar/Februar2017